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Montag, 7. Juli 2014

Gesichtet: No Turning Back - Locke


Ein wenig seltsam ist es schon. Als Film-Fan freut man sich ganz besonders auf die großen Produktionen. Die großen Namen. Die Filme mit den zwei- bis dreistelligen Budget-Beträgen.
Filme die unterhalten und die den Zuschauer mit positiven Gefühlen im Sitz zurücklassen und für eine gewisse Zeit eine Flucht vor dem Alltag boten. All das sind laute Filme. Sie sind aufwendig inszeniert, edel besetzt und publikumsfreundlich konzipiert. Spaß soll man haben, alles um sich herum vergessen und am Ende glücklicher aus dem Kino kommen, als man hineinging.
Dann aber gibt es auch die Filme, die all das nicht haben. Kleine, stille Produktionen, die man leicht übersieht und die nicht den Anspruch haben von einem großen Publikum wahrgenommen zu werden. Während all die Blockbuster und Kinohits - Ausnahmen ausgeschlossen - bewusst auf Unterhaltung und oberflächliche Abhandlungen von Emotionen und Charakteren fixiert sind, so sind es gerade die kleinen Filme, die einen gänzlich andern Weg gehen. Einen ganz besonderen Vertreter dieser Sorte durfte ich heute sehen: "No Turning Back" (Orginaltitel "Locke").
Und um meinen ersten Satz noch einmal aufzugreifen: Irgendwie sind es dann doch eben diese kleinen Filme, die mich mein Hobby so lieben lassen.

"No Turning Back" zu beschreiben ist so leicht wie bei kaum einem anderen Film, ihn jedoch zu erklären nicht. Fangen wir also mit der Beschreibung an.
Wir begleiten Ivan Locke (Tom Hardy) auf einer Autofahrt von Birmingham zu einem Krankenhaus in einer anderen, dem Zuschauer unbekannten Stadt. Locke ist erfolgreicher Baustellen-Manger, hat seine Leidenschaft zum Beruf gemacht. Es ist der Abend vor dem wohl größten Projekt seiner Karriere. Das Fundament für ein riesiges Gebäude soll gegossen werden und für den reibungslosen Ablauf dieser Aktion ist allein er verantwortlich. Doch er wird nicht da sein können, denn der wohl schlimmste Moment seines Lebens steht ihm bevor und er weiß, dass er kommen wird und wird bald begreifen müssen, dass sich Probleme im Privatleben nicht so rational lösen lassen, wie die auf der Baustelle.
Denn Locke ist verheirateter, zweifacher Familienvater, scheint glücklich mit Frau und Kindern im Eigenheim zu leben, wenn da nicht ein paar Stunden in seinem Leben gewesen wären, die ihn an diesem Abend einholen sollten. Locke hatte eine Affäre mit einer anderen Frau und genau diese bringt heute ihr gemeinsames Kind zur Welt.

Der 90-minütige Streifen ist in Echtzeit gedreht. Wir begleiten den Protagonisten die gesamte anderthalb-stündige Fahrt zum Krankenhaus, während wir ihm meist direkt ins Gesicht gucken. Nur ab und zu sehen wir verschwommene Lichter hinter regenüberströmten Fensterscheiben oder das Display des Boardcomputers, über das Locke Anrufe annimmt oder selber tätigt. Der Film spielt komplett im Auto, alle gesprochenen Worte erfolgen über das Telefon oder im Monolog. Dieser Minimalismus erlaubt es dem Zuschauer sich sehr intensiv mit dem Charakter auseinanderzusetzen und den nötigen Fokus auf die Gespräche zu legen, um so auch zwischen den gesprochenen Zeilen zu lesen. Die Dialoglastigkeit und die damit einherkommende Handlungsarmut ist ein großes Risiko, da die Gefahr besteht den Zuschauer zu langweilen oder sich in Belanglosigkeiten zu verlieren. Umso imponierender ist es, dass man Tom Hardy förmlich an den Lippen hängt und jedes Wort in sich aufsaugt. Die Dialoge generieren Spannung und das ist der größte Trumpf, den No Turning Back aufzubringen hat und wodurch er letztendlich auch voll uns ganz zu überzeugen weiß.


Die Erzählweise wird absolut auf diese minimalistischen Mittel beschränkt. Vergangenes und parallel Geschehendes wird lediglich nacherzählt oder über das Telefon vermittelt. Was auf der anderen Seite der Leitung geschieht bleibt der Fantasie des Zuschauers überlassen. Tom Hardy ist der einzige Schauspieler dieses Films den wir zu sehen bekommen. Doch diese One-Man-Show inszeniert er grandios und glaubhaft. In seinem Gesicht kann man förmlich alle inneren Denkprozesse lesen. Man leidet und fühlt mit. Man spürt die Überwindung, mit der er immer wieder Telefongespräche annimmt, nur um sich aufs neue mit Ehefrau, Chef und Kollegen duellieren zu müssen. Während dieser 90-minütigen Fahrt verliert Ivan Locke sein komplettes Leben und wie Hardy diese Entwicklungen spielt - wie er schreit, weint, fleht und wieder Hoffnung schöpft - sollte ihm endgültig viele Türen in Hollywood öffnen, nachdem er schon als Bane in "The Dark Knight Rises" und als vom inneren Schmerz zerfressener Martial-Arts-Kämpfer in "Warrior" brilliert hat. Man kann ihm den Erfolg wirklich nur wünschen, auch wenn "No Turning Back" wohl an der breiten Masse ohne Beachtung vorbeiziehen wird.

Und das kann ich sogar schon ein wenig nachvollziehen, denn letztendlich haben wir es hier mit absolutem Nischen-Kino zu tun. Ein Drama mit nur einem Darsteller, welches nur in einem Auto spielt und lediglich eine handvoll Kameraperspektiven bietet. Bei dem man sich auf Dialoge konzentrieren muss, außer Hardy kaum Schauwerte zu sehen bekommt und letztendlich konstant mit dem Niedergang eines Mannes zu tun hat, der versucht das Richtige zu tun, nachdem er einen Fehler begangen hat. Während Locke mit seinen inneren Dämonen, der Ehefrau und den Planungen für das morgige Großprojekt kämpft, kämpft der Zuschauer mit der Entscheidung, ob er es sich selbst zuzuschreiben hat, dass er in dieser Situation steckt oder ob er letztendlich das Opfer in einer Flut von Ereignissen ist, die ihn in einem höheren Maße bestrafen, als er es eigentlich verdient. Verdient dieser Mensch Vergebung oder doch genau das was er bekommt? Ist das Leben mit all seinen Konsequenzen nun gerecht oder ungerecht? Nach dem Abspann wird man mit diesen Fragen im Kopf wohl noch eine Weile rumlaufen. Der Film ist deprimierend, mitleiderregend und über Weite strecken trostlos. Die Autobahn auf der Locke unterwegs ist, ist ein symbolischer Weg zum Schlachthaus, den viele anonyme Mitreisende in ihren eigenen Gefährten begleiten, während der Regen die Lichter und Scheinwerfer zu surrealen Gemälden verzerrt. Die Szenerie untermalt den Film perfekt und lenkt nie von den Gesprächen oder Hardys Gesicht ab, denn diese beiden Elemente tragen den Film und machen ihn zu dem Erlebnis, das er nunmal ist, egal wie düster und hoffnungslos.

Es ist wohl kein Vebrechen, dass dieser Film somit von den meisten Menschen ungesehen bleibt. Es ist kein Unterhaltungsfilm, sondern einer, der den Zuschauer emotional in die Lage dieses leidenden Menschen versetzt, der händeringend um die Erhaltung seines Lebens ringt und letztendlich nur verliert. Doch Freunde von Dramen, hervorragenden Schauspielkünsten und Filmen mit Anspruch sollten sich das Werk von Regisseur Steven Knight nicht entgehen lassen, der hier wohl einen der stärksten Beiträge zu seiner Filmkarriere gedreht hat.
Diese Geschichte über das Leben zog mich runter, machte mich nachdenklich und hielt mich trotz Minimalismus fest umklammert. Es ist in Ordnung, wenn man sich nach diesem Film leer und traurig fühlt, denn man erlebte das Leben von der wohl schonunglosesten, aber auch einer sehr realistischen Seite. Und doch endet der Film mit einem Hoffnungsschimmer und einem neuen Leben. Ein Ende wie es wohl zwiespältiger kaum sein könnte, bei einem Film der kaum ist wie ein anderer.

8/10

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