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Donnerstag, 8. Mai 2014

Selbstgespräche: Eine Ode an Animal Crossing


Scheißtag. Alles geht schief. Die Menschen sind doof, die Welt ist grau, die Stimmung mies. Wenn man sich mit letzter Kraft nach Hause schleppt, auf dem Sofa zusammsackt und prinzipiell schonmal weder Lust, noch Kraft auf irgendetwas hat dann gibt es wenig, was einen Menschen noch aus diesem Loch retten kann. Manche Leute machen den Fernseher an und lassen sich berieseln, andere machen Sport, um den Frust rauszulassen. Ich besuche mein Dorf in Animal Crossing.

Ich starte meine Wii. Nach wenigen Sekunden zeigt sich ein vertrautes Gesicht auf dem Bildschirm. Es ist Olli, die Katze. "Hallo Jan! Lang nicht mehr gesehen. Das echte Leben ist wohl doch spannender."
Ein blöder Witz, der die vierte Wand durchbricht, ein Lächeln auf meinen Lippen: Das Spiel beginnt!

Auf dem Bildschirm erscheint mein Haus im Dorf. Meine Spielfigur tritt aus der Tür. Alles ist bunt, die Musik klimpert, die ersten Nachbarn schlawenzeln über die Wiese. Eine Ente, ein Elefant und ein Bär. Oder vielmehr: Kalle, Axel und Mona. Direkt kommen sie auf mich zu, sprechen mich an und fragen, wo ich denn so lange gewesen sei. Schon fast mit schlechtem Gewissen führe ich einige Gespräche und mache mich dann auf, zu beobachten was alles passiert ist, während ich nicht in Animal Crossing war. Neue Bewohner sind dazugezogen, alte Freunde hat es zu meinem Bedauern wohl aus dem Dorf getrieben, die Läden haben andere Angebote, die Pflanzen rund um mein Haus sind wegen mangelnder Pflege verwelkt. Es ist schon irgendwie faszinierend, dass diese virtuelle Welt auch ohne mich weiterlebt und sich entwickelt.

Sofort ist der Alltag vergessen. Ich gehe Angeln, buddel im Dreck nach Fundsachen, führe unzählige Gespräche mit vielen alten Bekannten. Wolf Lupo ist weggezogen, nachdem er sich mit Frosch Liliane verkracht hat. Hase Rubina hat ihre Einrichtung komplett rausgeschmissen und ihr Haus von neu auf saniert. Ich staune nicht schlecht: Wow, sie hat ein neues Laufband.
Mein Haus hingegen ist noch genauso wie ich es verlassen habe. Ein paar Kakerlaken haben es sich hier gemütlich gemacht, nachdem ich wohl beim letzten Besuch vor vielen Monaten eine Birne hab auf dem Boden verfaulen lassen. Nachdem das Ungeziefer beseitigt ist sieht es hier schon wieder ganz wohnlich aus.
In der Mitte ein großer Holztisch, Bücherregale, Teppiche, eine Jukebox dudelt in der Ecke. Pinguin Hauke kommt vorbei und schenkt mir zum Wiedersehen eine leicht eigenartige Skulptur. Ich bedanke mich höflich und frage mich heimlich wieviel Geld mir ein Händler wohl dafür geben wird.


Draußen bekomme ich einen Streit zwischen Elefant Axel und Katze Bianca mit. Er hat sie gefragt, wieviel sie wiegt. Die Dame reagiert gereizt. Macht man ja auch nicht.
Ich entschließe mich nicht einzumischen und schaue mal stattdessen was im Geschäft des Waschbärs Nook so angeboten wird. Früher habe ich mal mein Haus von ihm gemietet und es dann mit viel Mühe und Arbeit abbezahlt. Ich kaufe einige Pflanzensamen für meinen Vorgarten und eine knallpinke Flamingostatue. Die Nachbarn sollen bloß nicht denken ich wäre spießig.
Auf dem Weg nach Hause treffe ich Bärin Mona die regelrecht entzückt von dem Abbild des Vogels ist. 600 Sternis würde sie mir dafür bieten, 200 mehr als ich bezahlt habe. Der Sparfuchs in mir erwacht zum Leben und schnell wechselt das kitschige Prunkstück den Besitzer. Bisschen spießig bin ich wohl doch.

Die Uhr des Rathauses klingelt. Was schon neun Uhr? Anderthalb Stunden trotte ich nun schon durch diese quitschbunte Welt und fühle mich pudelwohl. Die herrlich naiven Gespräche mit all diesen Tieren, die mir in unzähligen Besuchen im Dorf über Jahre ans Herz gewachsen sind, sind ebenso amüsant wie interessant. Man erfährt den neusten Tratsch, die Sorgen und die skurillen Erlebnisse der Bewohner. Jedes dieser Lebewesen hat seinen eigenen, besonderen Charakter, den man über viele Spielstunden hinweg zu schätzen lernt oder als Grund sieht einen großen Bogen um einen Unsympath zu machen. Doch die meisten Bewohner sind wahnsinnig liebenswert. Umso schlimmer, dass Lupo weggezogen ist. Er war ein kauziger, alter Wolf mit dem ich lange nicht warm geworden bin. An einem schicksalhaften Tag jedoch angelte ich im Meer eine dicke Flunder und er stand anerkennend applaudierend hinter mir. Seitdem mochten wir uns. Nun ist er weggezogen in ein anderes Dorf. Vielleicht schreib ich ihm mal einen Brief und lege ihm eine Flunder dazu. Brieffreundschaft ist ja bekanntlich auch Freundschaft.

Das schwarze Brett am Rathaus ist förmlich überflutet mit Zetteln. Ich habe unzählige Feste und Geburtstage verpasst, besondere Angebote in Läden und Hilfegesuche von Bewohnern. Morgen feiert Hund Ronaldo sein neues Lebensjahr. Die Feier steigt um 16 Uhr. Wenn ich Zeit habe schaue ich da mal vorbei, auch wenn wir uns noch nicht persönlich kennen.
Im Rathaus unterhalte ich mich mit der Sekretärinnen-Ente und frage nach der Zufriedenheit der Bewohner. Sie sind alle glücklich, auch wenn manche mit dem Gedanken spielen in eines der Nachbardörfer zu ziehen. Dort sei es schöner. Vielleicht sollte ich in den nächsten Tagen mal etwas Zeit investieren und sie vom Gegenteil überzeugen, indem ich ein paar neue Blumen pflanze.
Noch ein schneller Blick auf das Konto, auf dem sich mittlerweile eine stattliche Summe Geld angesammelt hat, dann verlasse ich das Rathaus.



Zehn Uhr. Langsam muss ich mal die Konsole ausmachen. Dabei hätte ich noch so viel zu tun. Neue Bewohner kennenlernen, alte in ihrem Haus besuchen, durch die Nacht wandern und schauen was nach Sonnenuntergang so im Dorf los ist. Ich hätte noch neue Fisch- und Insektenarten, die ich gefangen habe und dem Museum stiften könnte und mein Vorgarten liegt immer noch in Trümmern und wartet auf eine Frischkur.

Aber für heute muss es genug sein. Ich schalte das Spiel aus und sitze wieder in meinem Zimmer. Was mit der schlechten Laune und dem Scheißtag passiert ist? Alles nicht mehr so schlimm. Mir geht es gut. Die fröhliche Musik schallt immer noch in meinem Kopf nach. Es ist alles nur ein Videospiel und dennoch habe ich das Gefühl alte Freunde getroffen und einen Ort wiederbesucht zu haben, der mir etwas bedeutet. Schön zu wissen, dass noch vieles beim Alten geblieben ist. Und was sich verändert hat werde ich in den nächsten Tagen dann noch in Ruhe erkunden.

Ich gehe ins Bett und liege noch ein wenig wach. Es ist schon bemerkenswert, dass eine virtuelle Welt einem Menschen etwas bedeuten kann, dass ihm diese kleinen Tiere ans Herz wachsen und man interessiert daran ist, was mit ihnen passiert. Dass man traurig ist, wenn sie einen verlassen und sich freut, wenn man bekannte Gesichter wiedersieht. Lange habe ich Animal Crossing links liegen gelassen. Es waren bestimmt 4-5 Monate und selbst davor waren meine Besuche nur noch sehr unregelmäßig. Aber das Dorf und seine Bewohner haben mich nicht vergessen. Nach einigen tadelnden Worten war ich wieder aufgenommen und mittendrin. Und das fühlt sich wirklich gut an und der Gedanke, dass man jederzeit dorthin zurückkehren kann ist tröstend und aufmunternd.

Natürlich: Im echten Leben hat man die Menschen, die wirklich zählen. Man hat Familie und Freunde, wenn man Glück hat sogar sehr viele und enge davon. Die schönsten Momente im Leben teilt man mit diesen Menschen. Momente, an die man sich das ganze Leben erinnert und aus denen man Kraft schöpft und gezeigt bekommt, dass man selber wichtig ist. All das ist unersetzlich. Es gibt keine Dinge, die mehr wert besitzen als Freundschaft und Liebe, sei es zur Familie oder zu einem Partner. Jeder der dies erfahren darf ist ein glücklicher Mensch. Und ich bin froh, dass ich ein solcher sein darf.

Und doch ist es schön zu wissen, dass da eine Welt existiert, in der man zu jeder Tageszeit an jedem Tag im Jahr Zuflucht finden kann. Ein Rückzugsort, wenn das reelle Leben einfach mal zu laut und zu unübersichtlich wird. In Animal Crossing ist alles einfach, die Sonne scheint immer und wenn sie es nicht tut, dann tuen es der Mond und die Sterne. Dieses Spiel ist für mich mehr als nur ein Zeitvertreib. Es ist Therapie, Meditation und Reinigung. Ich bin mir bewusst, dass das wohl kaum jemand nachvollziehen kann, der sich nicht selber mal damit beschäftigt hat. Mit dieser kleinen Welt voller Lebewesen. Es ist pulsierendes Leben. Seelische Medizin. Konzentriertes Glück.

Danke, Animal Crossing! Danke ihr vielen kleinen Bewohner! Und Lupo: Bitte komm zurück! :(





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