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Donnerstag, 1. Mai 2014

Gesichtet: Mud - Kein Ausweg


Jeff Nicols ist ein noch unbeschriebenes Blatt im Mainstream-Kino. Der 36-jährige Amerikaner zählt zu den jüngeren Regisseuren im Business und seine Filmographie enthält dementsprechend nur eine Hand voll Werke. Jedoch hat er ein kleines Kunststück vollbracht, welches nur wenigen Filmemachern in ihren frühen Phasen gelingt: Er hat sich bisher noch keinen Fehlgriff geleistet. Redet man über ihn, so liegt zumindest mir das Wort "Geheimtipp" immer auf den Lippen, denn seine drei bisher veröffentlichten Arbeiten zählen zu den Filmen, die ich bedingungslos weiterempfehlen könnte. Einen von diesen Dreien habe ich soeben erst beendet. "Mud" heißt er und unterscheidet sich sehr von dem, was man von Nicols bisher sehen konnte. Dass er auch Dramen drehen kann, spricht sehr für ihn. Und sehr viel spricht auch für "Mud". 

Ich muss zugeben, dass ich bis vor ein paar Tagen nichts von Mud wusste, geschweige denn, dass es einen neuen Film von Jeff Nicols gibt. Schon 2012 abgedreht hat er jetzt erst den Weg nach Europa gefunden, obwohl die Besetzung und der Produktionsrahmen keinen kleinen Film vermuten lassen. Gerade weil Nicols letztes Werk "Take Shelter" in den deutschen Kinos lief, wunderte es mich doch warum es dieser Film nicht doch zeitnah zum Amerikastart zumindest in die Videotheken geschafft hat. Wahrscheinlich lassen sich Psychothriller einfach leichter vermarkten als Coming of Age-Dramen. Die Vermutung liegt nahe, dass der Film nun auf Grund von Matthew McConaugheys Oscar-Gewinn von den Studios in Europa vermarktet werden wollte, um aus dem Trubel um den jüngst so erfolgreichen Schauspieler einen möglichst großen Profit zu ziehen. Jedoch hat Mud es gar nicht verdient im Schatten eines größeren Filmes unter das Volk gejubelt zu werden, auch wenn er als kleinerer Film natürlich nicht mit der Relevanz eines "Dallas Buyers Club" Schritt halten kann.

McConaughey ist jedoch keineswegs die Hauptfigur des Filmes, was die Plakate suggerieren. "Mud" erzählt die Geschichte der beiden Teenager Ellis (Tye Sheridan) und Neckbone (Jacob Lofland), die als beste Freunde zusammen am Mississippi aufwachsen, jedoch ist die Geschichte wesentlich näher an Ellis, als an Neckbone erzählt. Der 14-jährige lebt mit seinen Eltern in einem Hausboot an einer ruhigen Stelle des Flusses. Die Familie ist alles andere als wohlhabend, aber das scheinen die Leute in der Gegend wohl alle zu sein. Ellis Leben ist geprägt von tagtäglichen kleinen Abendteuern in der Natur, der Arbeit mit seinem Vater und dem ersten Interesse an dem anderen Geschlecht bis zu dem Tag, an dem er mit Neckbone auf einer verlassenen Insel ein Boot entdeckt, welches von einem Sturm in die Krone eines Baumes geschleudert wurde. Während sie die Innenräume des Bootes erkunden bemerken sie, dass dieses scheinbar bewohnt ist, denn dort versteckt sich der scheinbar obachlose Mud (Matthew McConaughey). Ellis ist sofort angetan von dem interessanten, offenen, wortgewandten Mann in den dreckigen Klamotten. Schon im ersten Gespräch stellt sich raus, dass Mud auf der Flucht ist. Er ist ein Mörder und wird von der Polizei und einer Kopfgeldjägerbande gesucht. Den Mord beging er um seine große Liebe Juniper (Reese Whiterspoon), was den beiden Jugendlichen sehr imponiert. Sie beschließen Mud zu helfen das gestrandete Boot zu reparieren und somit Mud und Juniper eine Möglichkeit zu geben zu fliehen. Doch die Verfolger nehmen schon bald Muds Spur auf.


Was sich wie ein Thriller liest ist eigentlich ein schöner, ruhiger Coming of Age-Film über eine ungewöhnliche Freundschaft und das Erwachsen werden. Ellis findet in Mud einen Freund, der ihn das Scheitern der Ehe seiner Eltern und die ständigen Geldprobleme vergessen lässt. Das Ziel das Boot für Mud seetauglich zu machen scheint den beiden Jungs aus einfachen Verhältnissen eine Reifeprüfung und ein Abenteuer zugleich zu sein. Sie besorgen für Mud Lebensmitte, aber auch Ersatzteile für das Boot. Muds Situation und seine Liebesgeschichte inspirieren sie dazu selbst mutiger zu werden, sich gegen Probleme zu wehren und der ersten Liebe nachzulaufen anstatt sie nur von Weitem zu betrachten. Wir sehen hier das große Abenteuer zweier Jungs, die den Anfang ihrer Pubertät durchleben mit allen Problemen und Veränderungen, mit Erfolgen und Enttäuschungen.

Mud hingegen bietet den Kontrast. Von ihm geht das Ungewisse, womöglich auch Gefährliche aus. Er wird von Allen, die ihn kennen als chronischer Lügner bezeichnet, als schwerer Mensch.  Auf die Jungs und auch auf den Zuschauer wirkt er hingegen komplett anders, was seine Person angenehm undurchschaubar macht und auch innerhalb des Filmes für den ein oder anderen Twist sorgt. Jedoch sollte man von Mud keine Action oder temporeiche Spannung erwarten. Letztere wird durch die Beziehungen zueinander geschaffen, ebenso wie durch den undurchdringlichen Namensgeber des Filmes. Er ist ein charmanter Kerl, dessen Aussehen konträr seinem Intellekt und seiner Gutmütigkeit steht. Jemand den man einfach nie ganz durchschaut und daher ein interessanter Freund für die beiden jungen Hauptdarsteller.

Der heimliche Star des Filmes ist der Mississippi und seine dichten, urigen Wälder, in denen der Film zum Großteil spielt. Wenn Ellis mit seinem Boot über den Fluss schippert, dann gibt es nichts außer ihm und den umliegenden Sümpfen. Die Natur wirkt ebenso unberechenbar wie Mud selber. Gegenpol dazu sind die eher einfachen Städtchen und Behausungen, in denen die Menschen wohnen. Durch die langsamen Schnitte des Filmes und die großzügigen Kameraschwenks kommen die Locations toll zur Geltung uns lassen eine tolle, leicht hitzige Sommeratmosphäre entstehen, in der man die schwule Luft und die Brise auf dem Fluss fast schon spüren kann.


Ein großes Lob muss man auch an die Besetzung aussprechen, denn der Film ist bis in die kleinste Rolle toll und passend gefüllt. Das fängt natürlich bei den beiden Jungs an. Die bis dato eher unbeschriebenen Sheridan und Lofland spielen die beiden wahnsinnig routiniert und emotionsgeladen zwischen Kind und jungen Erwachsenen. Die Dynamik zwischen den beiden stimmt einfach und wird ergänzt von einem großartigen McConaughey, dem die Rolle sichtlich am Herzen lag und der den heruntergekommenen Flüchtligen nicht nur spielt, sondenr regelrecht lebt. Dies ist nur ein weiterer Beweis dafür, dass wir von diesem Mann als Schauspieler in Zukunft spektakuläres zu erwarten haben, nun da er dort engelangt ist, wo er hingehört: Bei den anspruchsvollen Charakterrollen.
Auch die Nebenrollen nehmen ihren Job ernst. Endlich konnte man wieder mal eine Reese Witherspoon in einer ansprechenden Rolle sehen, nachdem sie sich in letzter Zeit eher rar gemacht hatte. Tom Shepard gibt einen herrliche fiesen Bösewicht, der sich jedoch angenehm im Hintergrund hält und den Fokus auf der Beziehung zwischen Mud und den Jungs lässt, anstatt den Film in Richtung "Mud gegen Kopfgeldjäger" zu drehen. Der Film benötigt definitiv diesen Nebenstrang, um gelegentlich Tempo aufnehmen zu können, die Balance zwischen beiden Seiten wurde absolut gefunden.
Farblos hingegen blieb Michael Shannon in der Rolle von Neckbones Onkel, welcher nach seiner spektakulären Performance in Take Shelter hier eher nochmal als besonderer Gast zu sehen ist. Jedoch hätte man ihn nicht für eine solch unbedeutende Rolle verheizen sollen.

"Mud" ist ein runder Film geworden. Auf dem toll gefilmten Mississippi und dessen Umlanden wird die Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft gezeichnet, der immer etwas unberechenbares und daher interessantes zu Grunde liegt. Die Schauspieler machen aus der grundsoliden Geschichte ein tolles Erlebnis. Der Film pendelt zwischen Feel-Good-Movie und Drama mit Herz. Eine angenehme Mischung, die den Zuschauer kombiniert mit der einnehmenden Atmosphäre der Lokationen im Bann hält. Der Film hat ein angenehmes Tempo, wird nie hektisch, aber auch nur selten langweilig, was bei einer Spieldauer von 130 Minuten genrebedingt wohl nicht ausbleibt. Jedem Fan von herzerwärmenden Filmen sei dieses Machwerk ans Herz gelegt. McConaughey Fans, sowie Sympathisanten ansprechenden Schauspiels sowieso.
Jeff Nicols hat es auch hier wieder geschafft einen guten, sehr sehenswerten Film abzuliefern und man kann gespannt sein, was in Zukunft noch von ihm gedreht wird.

7/10


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