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Donnerstag, 24. April 2014

Gesichtet: Der Hunderjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand

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Es gibt sie eben doch noch: Die Kinoerlebnisse, die einen völlig verblüffen können! Nach einem langen Arbeitstag setzte ich mich gestern in den gut gefüllten Kinosaal, um an der wöchentlichen Sneak Preview teilzunehmen. In den Prognosen waren nur hochkarätige Filme vertreten und so rechnete ich mit einem gelungenen Filmabend. Den bekam ich dann auch, nur war es keiner der prognostizierten Filme, sondern einer, von dem ich noch nie zuvor gehört hatte. Und das völlig unberechtigt! Diese wundervoll schwarzhumorige Komödie aus Norwegen verdient die Beachtung der breiten Masse. Und nun kann ich zumindest ein wenig dazu beitragen, dass sie diese auch findet!  

Allan Karlsson (Großartig: Robert Gustafsson) blickt auf ein ereignisreiches und langes Leben zurück. Heute ist sein 100. Geburtstag und man möchte meinen, dass sein Leben nun so langsam dem Finale entgegenschreitet. Doch gerade dieser Tag ist ein besonderer, an dem sein Leben nochmal eine schicksalhafte Wende nehmen soll. Aber der Reihe nach:
Allan hat keine Familie mehr. Schon im frühen Kindesalter verlor er erst seinen Vater, der als mehr oder weniger selbstständiger Revolutionär den Tod durch kommunistische Hand fand, und dann seine Mutter, welche irgendwann einer Krankheit erlag. Seitdem war Allan Vollwaise. Es gab keine Familie mehr, die ihn hätte aufnehmen können und so landete er in einem Heim. Doch anders als man meinen könnte, war dies für ihn keine Katastrophe, denn Allan war ein sonderbarer Junge. Leicht debil war er, und naiv. Und er hatte eine große Leidenschaft: Sprengstoff! Schon im Kindheitsalter jagte er alles was er finden konnte mit Begeisterung in die Luft. Und diese Begeisterung sollte sein Leben für immer verändern, denn schon bald brach der zweite Weltkrieg aus und Allan war mittendrin. Wie eine europäische Version von Forrest Gump nimmt er eher zufällig als gewollt an vielen entscheidenden und berühmten Ereignissen während und nach dem zweiten Weltkrieg teil und greift unbewusst geschichtsprägend ein. Seiner Liebe zum Sprengstoff verdankt er dann letztendlich auch, dass er hohen Alters in einem Altersheim einquartiert wird, da man sein Herumspielen mit hochexplosiven Stoffen für zu gefährlich hält. Da sitzt er nun an seinem 100. Geburtstag und ist hochgradig unzufrieden. Die Welt, die er in seinem Leben bereist hat lockt immer noch und so steigt er einfach aus dem Fenster seines Erdgeschosszimmers, kauft sich ein Busticket nach “egal wohin” und verschwindet. Unterwegs kommt ihm ein Koffer unter, der eigl einer Motorradbande gehört. Inhalt: 50 Millionen Kronen. Natürich wollen die Eigentümer die wertvolle Fracht zurückhaben. Es beginnt die Hatz eines 100-jährigen Mannes, der mit seinem Leben noch lange nicht abgeschlossen hat.

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Die Parallelen des Filmes zu seinem scheinbar großen amerikanischen Vorbild “Forrest Gump” sind unübersehbar. Wir haben den leicht zurückgebliebenen Protagonisten, der regelmäßig in die Weltgeschichte eingreift, verschiedene Länder besucht und auf seiner Reise allerlei kuriose Gestalten trifft. Was den Film jedoch gänzlich in eine andere Richtung steuern lässt, ist der tiefschwarze Humor. Im Minutentakt feuert man Gags auf den Zuschauer, die fast alle perfekt funktionieren. So eine hohe Dichte an großartig witzigen Szenen habe ich seit dem ersten “Hangover” nicht mehr erlebt.

Man kann die Gewichtung zwischen aktuell geschehender Handlung und Allans Erzählungen aus der Vergangenheit ungefähr 50:50 gewichten. Jedoch kriegt man hier keine akkuraten Geschichtsstunden serviert, denn der Humor steht immer im Vordergrund mit einer besonderen Vorliebe für bizarre Situationen. So erfindet Allan versehentlich die Atombombe mit, besäuft sich mit Stalin und lernt Albert Einsteins grenzdebilen Bruder in einem Gulak kennen. All das ist so komisch, dass es einfach nur Freude macht dem Geschehen zu folgen.

Was dem Film klar fehlt ist ein roter Faden. Es wird oft in den Zeiten gesprungen und lange weiß man nicht so recht, wohin der Film eigentlich führen soll. Jedoch tut das dem Film nicht wirklich weh, denn der Unterhaltungsfaktor ist einfach so hoch, dass man sich als Zuschauer gerne abholen lässt. Der Film wechselt seine Orte ebenso schnell wie seine Charaktere, sodass sich gerade gegen Ende leichte Sättigung einstellt. Dies war bei mir 10 Minuten vor Schluss der Fall. Da sich dann aber zügig das Finale anbahnte, wurde der erste Blick auf die Uhr noch gerade so abgewehrt. Diese 10 Minuten ist der Film trotzdem zu lang. 2-3 Szenen hätte man durchaus kürzen oder weglassen können, aber das ist Meckern auf hohem Niveau, denn letztendlich wird man ja auch in dieser Zeit gut unterhalten.

Die Charaktere des Filmes sind einfach herrlich sympathisch, allen voran natürlich Allan, dem man sein Alter ebenso optisch wie auch geistig anmerkt. Technik ist für ihn ebenso ein Feind, wie Schnelligkeit. Im Laufe des Filmes sammelt er eine illustre Schar an Menschen um sich herum, die man am besten selber als Zuschauer kennenlernt, daher werde ich zu diesen kein Wort verlieren. Toll gespielt sind sie aber allesamt und zudem besitzen sie genug Tiefe, um wirklich menschlich und nicht deplatziert in den vielen Szenen zu wirken.

Der kleine Star des Films sind jedoch die Kulissen. Allan reist durch Länder und Jahreszeiten und regelmäßig sind die Szenerien wirklich toll anzusehen. Hier und da sieht man, dass beispielsweise der Rauch nach Explosionen aus dem Computer kommt, jedoch stört das nur solange, bis die nächste tolle Landschaft über die Leinwand zieht. Und in diesen Kulissen toben sich sowohl der Regisseur, als auch der Cast richtig aus. Es gibt genug Action, sowie auch ruhige fast emotionale Momente, sodass man sich auf eine angenehm abwechslungreiche Fahrt durch das Leben eines ganz besonderen Mannes begeben kann. Natürlich spielen Liebe und Tod dort zentrale Rollen, ebenso wie das Thema des Alt werdens und der Einsamkeit. Die emotionale Qualität des Herren Gump erreicht man zwar nie ganz, dafür punktet man aber mit politisch unkorrekten Szenen und kuriosen Einfällen, die sich der Ami-Vorzeigefilm definitiv nicht getraut hätte.

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"Der Hundertjährige…" ist eine der besten Kino-Komödien seit langer Zeit und gerade so erfrischend, weil er mal nicht aus Hollywood kommt, sondern aus dem schönen Norwegen, das regelmäßig seine schönsten Seiten vor dem Zuschauer entfaltet. Das "Forrest Gump"-Rezept mundet hier noch ein zweites Mal, da die lose Kopie nicht stört, nicht zuletzt weil die Gewichtung hin zum schwarzen Humor einen deutlichen Kontrast zeichnet. Für mich war der Film ein magisches Kinoerlebnis, mit dem ich so niemals gerechnet hätte. Wer einfach mal wieder Lust auf "Feel Good"-Kino hat, der sollte sich diesen Film nicht entgehen lassen. Wer weiß, wann man das nächste Mal so viel im Kino lachen darf. 

8/10

J.

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