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Donnerstag, 24. April 2014

Angehört: Chet Faker - Built on Glass


Gut zwei Jahre hat Chet Faker seine Fans warten lassen. Der 24-jährige Vollbartträger aus Australien veröffentlichte 2012 seine vielversprechende EP "Thinking in Textures" bevor er sich im Studio einschloss, um sich vollends seinem ersten Longplay-Ausflug zu widmen. Was dabei rauskam ist all das, was man von ihm erwartet, jedoch auch einiges mehr. Das Ausbauen seiner Trademarks, aber auch das muntere Experimentieren mit verschiedenen Genres begleitet von der unerschütterlichen Lässigkeit in seiner Stimme, die uns alle seit seinem ersten Internet-Hit "No Diggity" absolut fasziniert.

Zugegebenermaßen waren meine Erwartungen an Fakers erstes Album nicht gerade niedrig. Das lag sowohl an seiner hervorragenden EP als auch an der Zusammenarbeit mit Jung-Genie Flume auf deren gemeinsamer "Lock Jaw EP".  Wie nährt man sich nun einem Debut mit einer solchen Erwartungshaltung? Zunächst war ich mir nicht so sicher. Doch nachdem die ersten Pianoklänge des Openers "Release your Problems" sich mit dem Beat vermischten, war die Antwort gefunden: Relaxt.

Es ist schon faszinierend, wie schnell die Musik mich in ihrem "Vibe" gefangen hatte. Der Beat setzt ein, der Körper entspannt sich, der Kopf fängt kaum merklich an zu Nicken und man weiß, dass alles gut wird. Die Zurückgelehntheit der ersten Single-Auskopplung "Talk is Cheap" muss man einfach selber erleben. Die sanft angezerrte Gitarre und das Saxophon, das im Hintergrund vor sich hin groovt, lassen den Hörer instinktartig das nächste Sofa suchen und die Augen schließen. Es ist Balsam für die Seele.

Fakers Musik ist RnB, sie ist Elektro, aber auch Pop. Doch der Gesang würde jeden Soul-Song sofort aufwerten. All die Elemente dieser verschiedenen Genres greifen so perfekt ineinander, dass man sich wundert, warum niemand davor diesen Cocktail gemixt hat. Der Gesang ist wunderbar ruhig und doch emotional, die Texte beschäftigen sich zwar mit Herzschmerz und Liebe, ziehen jedoch nicht runter, sondern animieren zum mitsingen und -summen. Auf "Melt" befindet sich das einzige Feature des Albums. Die amerikanische Vokalistin Kilo Kish bildet das weibliche Pendant zu Faker und ist somit ein angenehm auffälliger Farbklecks im stimmfarblich gleichmäßigem Gemälde des Hausherren.

Dass er auch einen Schritt zulegen kann, beweist dieser mit "Gold", welches basslastiger daherkommt und den Zuhörer mit Handclaps zurück in aktivere Gefilde holt. Hier wird auch klar, dass Faker über eine angenehme Breite in seinen Stimmlagen verfügt und diese stellt er hier gerne zur Schau, bevor es dann mit "To Me" wieder souliger wird. Die Ballade ist der Song, der in diesem großartigen Album noch am wenigsten funktioniert. Umringt von musikalischen Hochkarätern wirkt er mit seinen Chören zu aufgeblasen und fast schon ein wenig zu popig, wenn nicht kitschig. Das klingt jetzt dramatischer als es ist, denn ich meckere hier vorsichtig und auf hohem Niveau.

In "Blush" wird es dann experimenteller. Die Stimme wird verzerrt, der Beat ist - vom Piano begleitet - weitaus mehr von Elektronica geprägt. Dieser Song ist in der Albummitte perfekt gesetzt, um den Hörer wieder aufmerksam zu machen, bevor er zu sehr in die warmen, souligen Tiefen entgleitet. Ähnlich geht es mit "1998" weiter. Auf einem housigen, von Handclaps und Snare begleiteten Beat singt Chet Faker leicht nostalgisch über seine Jugend und erweitert sein Album um eine durchaus tanzbare Facette, bevor es dann mit "Cigarettes & Loneliness" ein fast achtminütiges, von der Gitarre getragenes Songwriter-Stück gibt, welches zwar leicht gleichförmig und womöglich auch einen Tick zu lang ist, mit gelegentlichem Schlagzeug und Einsatz von Zweitstimmen aber in Kombination mit dem hörenswerten Text durchaus eine Daseinsberechtigung hat. Faker experimentiert halt gerne und hat sich auch mit diesem Teil seiner musikalischen Vielfältigkeit keinen Fehltritt geleistet.

Nun setzt "Lesson In Patience" ein und das Konzept des Albums wird dem Hörer spätestens hier bewusst. Während die erste Hälfte des Albums absolut relaxt, verträumt und soulig war, dient die Zweite für musikalische Experimente und Kreativität. Der Song ist ein reines Instrumental, in dem Faker lediglich leicht klagende Töne singt, während das Saxophon frech und leicht schief vor sich hiner soliert.

Den Schlusspunkt setzt das tolle "Dead Body", welches dann nochmal zur ersten Albumhälfte und der damit verbundenen Lässigkeit zurückfindet. Eine entspannte E-Gitarre begleitet Chet Fakers ruhigen Gesang hin zum Albumende und schreckt auch vor dem ein oder anderen Solo nicht zurück. Ein grandioser Abschluss für ein Debut, welches nahezu ohne Fehler auskommt.

"Built on Glass" ist ein fantastisches Album geworden. Wenn man sich bewusst macht, dass es das erste eines Musikers ist, der sich noch in der ersten Hälfte der Zwanziger befindet, dann gerät man schon ins staunen. Chet Faker ist sich seiner Stärken bewusst und verpackt sie in perfekt ausgearbeitete Songs ("Talk is Cheap", "Melt", "Dead Body"), hat jedoch auch den künstlerischen Ehrgeiz und den Mut sich nicht auf diesen auszuruhen, sondern seine musikalischen Grenzen auszuprobieren, was ihm über weite Strecken beachtenswert gut gelingt ("Blush", "1998", "Lessons in Patience"). Der leichte Kitsch, der in "To Me" Einklang findet und das etwas zu lange "Cigarettes & Loneliness" verhindern hier zwar die Höchstwertung, jedoch wäre es auch erschreckend, wenn ein so junger Debütant direkt eine Punktlandung hinlegen würde.
Was bleibt ist ein heißer Anwärter auf die Top Ten des Jahres 2014 und ein grandioses Album für den Ausklang eines langen Tages.

9/10

J.


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