Artikelsuche

Mittwoch, 10. Dezember 2014

Getestet: Never Alone (PS4)


Der Schnee ist tief und das kleine Mädchen hat alle Mühe mit den kurzen Beinen hindurchzustapfen. Hinter ihr, elegant und geschickt, der Polarfuchs, der sie durch den Schneesturm hinweg begleitet. Der Wind ist eisig und fegt rau über die Schneefelder und Eisscholen. Das Mädchen muss sich die Kapuze festhalten, damit er sie nicht vom Kopf bläst. Es ist eine trostlose Szenarie, durch die die beiden sich allein gelassen den Weg bahnen. Und doch sind sie nie allein, weil die Natur bei ihnen ist. Als helfende Kraft und lebensgefährdende Bedrohung. 

Das Mädchen und der Fuchs sind unzertrennlich. Freunde und Partner im Alltag. Es ist nicht untypisch in Alaska sich ein solches Tier als Haustier zu halten, so erzählt mir ein Mann in einem Video. In einem Video?
Genau, denn "Never Alone" ist nicht nur ein Videospiel, sondern mehr als das. Es ist gleichzeitig eine Lehrstunde. Eine Dokumentation, die mir neben den Spielanteilen auf Wunsch in kleinen Videos die Kultur und das Leben der Inuit näherbringt. Denn das kleine Mädchen - ihr Name ist Nuna - ist eine Angehörige dieses Volkes und lebt mit ihrem Stamm inmitten der Schnee- und Eiswüsten. Wie man in dieser für Menschen nicht besonders freundlichen Umgebung überleben kann, klären mich echte Inuits in den dokumentarischen Kurzfilmen (sie sind nie länger als 2-3 Minuten) auf. Upper One Games, die Entwickler des Spieles haben sich die Mühe gemacht und eine kleine Dokumentation über das Volk und ihr Leben, sowie Sagen und Mythen in ihrer Kultur gedreht. Dieses Material teilten sie in 24 kurze Videos, welche man im Laufe des Spiels freischalten kann. Das Schöne ist dabei, dass viele der behandelten Themen in die Spielmechanismen von Never Alone Einzug erhalten. Dies gibt dem Spiel Tiefe und veranschaulicht die Informationen der Dokumentation auf spaßige Art und Weise.

Doch zurück zu Nuna und ihrem Fuchs: Warum kämpfen sich die beiden überhaupt durch einen Schneesturm? Der Grund ist ebenso dramatisch wie nachvollziehbar: Nunas Dorf wurde von einem ungeheuerlich aussehenden Mann niedergebrannt, die Einwohner vertrieben oder getötet. Die genaue Motivation des Mannes bleibt unbekannt. Von einer mystischen Gestalt - dem Eulenmann - erfahren wir, dass er etwas suchte. Was genau es jedoch war, dass weiß er selber nicht.
Die kleine Nuna hat kein Zuhause mehr und keine Freunde oder Familie, die in der Kultur der Inuits den wohl höchsten Stellenwert besitzen. Daher macht sich das Mädchen mit ihrem tierischen Begleiter auf, um nach den Verbliebenen zu suchen. Und dann wäre da noch das Mysterium des zerstörerischen Windes zu lüften, der dem Dorf schon seit längerer Zeit zu schaffen macht und das Überleben zu einem harten Kampf hat werden lassen.


Das Spiel selber gestaltet sich als ein simples 2D-Jump n' Run mit Rätselelementen und kooperativem Modus. Befinden sich lokal zwei Spieler an einer Konsole, so kann jeder eine der beiden Figuren übernehmen. Spielt man alleine, so kann man auf Knopfdruck zwischen den Charakteren wechseln - die nicht gesteuerte Figur übernimmt dann der Computer.
Man läuft, hüpft und klettert durch Schnee und Eis und versucht nach und nach das Mysterium des Windes zu lösen und die Familie der kleinen Nuna zu finden. Dabei geraten die beiden Freunde nicht selten in Gefahr, doch zusammen können sie jede Situation meistern. Der Fuchs kann besonders gut klettern und aufgrund seiner Größe passt er durch jedes noch so enge Loch. Nuna ist stark und kann Dinge schieben und mit ihrer Wurfwaffe Eis zertrümmern. Somit müssen die Charaktere (und gegebenenfalls auch die beiden Spieler) ihre Fähigkeiten kombinieren, um an das Ziel zu gelangen.

Gibt es einmal kein Ausweg mehr, dann kommt die Natur ins Spiel. Denn der Fuchs hat eine besondere Verbindung zur Welt der Naturgeister und kann mit ihnen in Kontakt treten. Diese schemenhaften Gestalten helfen den beiden Abenteurern dann dabei Abgründe und scheinbar unüberwindbare Felswände hinter sich zu lassen. Alle Charaktere, Geister und Wesen auf die ihr trefft haben irgendetwas mit der Mythologie und Kultur der Inuits zu tun. Selbst die Nordlichter, die den Himmel wunderschön überziehen sind eigentlich Geisterkinder, die über den Abendhimmel huschen und unachtsamen Inuitkindern die Köpfe abreißen, sofern diese nicht - wie von Mutter befohlen - ihre Kapuzen übergestreift haben. Diese und viele andere Geschichten erzählen uns echte Inuits in den vielen kleinen Interviewsituationen in den Doku-Videos. Ingesamt haben rund 40 Stammesangehörige dabei geholfen das Spiel mit Informationen zu füttern. Zudem sehen wir sie in den Interviews wieder, auch wenn die meisten von ihnen schon durch die westliche Kultur beeinflusst wurden und nur noch Erinnerungen an das wahre Stammesleben haben. Was sie jedoch zu erzählen haben ist faszinierend und fremd, sodass gerade die vielen kurzen Filmchen einen enormen Ansporn zum Weiterspielen darstellen.


Never Alone ist spielerisch sehr simpel. Oft wirkt es nur als spielerisches Konstrukt, welches man der Doku überzog, um beide Welten miteinander zu einem interaktiven, aber eben auch lehrreichen Abenteuer zu verbinden. Steuerung, sowie Rätsel- und Sprungpassagen sind sehr simpel gehalten und erfordern meist nicht mehr als ein paar Sekunden bis man den Lösungsweg erkannt hat. Doch das ist nicht weiter schlimm, denn der Ablauf aus Spiel und filmischer Info-Häppchen ist angenehm flüssig und befriedigt mit schnellen Erfolgserlebnissen, was Never Alone auch zu einem Spiel für das jüngere Publikum macht, aber eben nicht nur für dieses. Denn während Kinder sich wohl vor allem an den Spielpassagen und den knuffigen - zum Teil aber auch durchaus furchteinflößenden - Figuren erfreuen, bieten gerade der Doku-Part und die gefühlvolle Geschichte genug Anreize, um auch als erwachsener Spieler in das Abenteuer einzutauchen und sich von der Atmosphäre und der liebevollen, märchenhaften Kulisse faszinieren zu lassen. Denn letztendlich ist Never Alone vor allem eines: Ein Märchen. Magie, Freundschaft und der Kampf gegen das Böse sind Kernelemente des Spiels - die Geister und Fabelwesen, die man auf der Reise trifft verstärken den Effekt der exotischen, positiv fremd wirkenden Erzählung.

Zudem lädt der Koop-Aspekt förmlich dazu ein das Spiel zu zweit zu genießen. Und gerade als Einzelspieler merkt man leider, dass das auch der heimliche Wunsch der Entwickler war. Spielt man alleine, so ist die KI des gerade nicht ausgewählten Charakters nicht unbedingt fehlerfrei  und verschuldet den ein oder anderen frustigen Moment, wenn sie mal wieder ins Leere springt, auf Dinge klettert von denen sie sich eigentlich fern halten sollte oder einfach nutzlos in der Gegen herum steht. Diese Momente sind nicht allzu häufig, mehren sich aber gerade zum Ende des Spieles hin, wenn die Rätsel komplexer werden und häufiges Wechseln zwischen Nuna und dem Fuchs gefragt ist.
Abseits davon ist das Spiel wirklich simpel. Die Rätsel beschränken sich oft darauf Kisten richtig zu schieben und Geister korrekt zu positionieren, sodass man durch gezielte Sprünge schnellstmöglich sicheren Boden unter den Füßen bekommt. Während man alleine durch Schwierigkeiten der KI einige Male scheitern wird, sollten gerade zwei Spieler die Passagen noch problemloser meistern können.
Man sollte also nicht erwarten, dass Never Alone jemals zur spielerischen Herausforderung mutiert. Das Spiel hat den Fokus darauf gelegt seine Geschichte zu erzählen und die Welt und Kultur der Inuits zu präsentieren, während alle Spielelemente simpel bleiben. Innovationen und frische Ideen sucht man im Spieldesign vergebens, aber wenn man an daran interessiert ist Geschichte und Hintergründe zu erfahren und einfach mal nach der Arbeit in eine fremde Welt einzutauchen ohne von Frust und Komplexität begeleitet zu werden, dann wird man sie nicht vermissen.


Wirklich toll gelungen ist den Entwicklern die grafische Präsentation und die liebevollen Animationen der beiden Hauptfiguren. Nuna und ihr Begleiter sind einfach nur putzig anzusehen und es gibt genug Momente, die dem Spieler aufgrund der freunschaftlichen Verbindung der beiden Nahe gehen werden. Oft genug wird es sogar sehr emotional und im letzten Drittel des Spieles erwartet uns ein Twist, der so nicht vorhersehbar ist und das Spiel dann doch nochmal um das ein oder andere Spielelement erweitert (aufgrund von Spoilern gehe ich nicht weiter darauf ein).
Die märchenhafte Geschichte und die vielen liebevoll zusammengesuchten und inszenierten Hintergrundinformationen sind, was das Spiel trotz seiner gameplaytechnischen Eindimensionalität dann doch zu etwas ganz Besonderem machen. Allein schon die vielen sympathischen Inuits, denen man in den Dokusequenzen lauschen kann verpflichten interessierte und aufgeschlossene Spieler zu einem Kauf.
Und gerade Kinder werden durch die liebevolle grafische und musikalische Präsentation, sowie den niedrigen Schwierigkeitsgrad und die fairen Rücksetzpunkte schnell Zugang zum Spiel finden.

Das Spiel ist eine besondere, märchenhafte Erfahrung und gerade perfekt für kalte Winterabende, an denen man im mollig warmen Zuhause die Situation der Figuren in den bitter kalten Eiswüsten nachvollziehen kann. Es ist mehr Märchen und mehr Lehrstunde als ein ausgefeiltes Spiel. Jedoch sind die Spielelemente kurzweilig genug um nicht zu langweilen und zumindest zu zweit nie frustrierend. Alles in allem ist Never Alone vielleicht kein besonders gutes - weil anspruchs- und innovationsloses- Videospiel, jedoch ist es eine besondere Erfahrung, eine interaktive Lehrstunde und ein Ticket in eine fremde Welt, die so fremd und faszinierend ist, dass man sie durchaus an sich heranlassen sollte. Spielerisch müsste man hier vielleicht die 5 Punkte zücken. Nimmt man jedoch die Dokumentation, die Präsentation, die liebevolle Geschichte und Präsentation, sowie die Hingabe der Entwickler zum Thema hinzu, so fällt die Wertung ein ganzes Stück höher aus. Und da es viel zu wenig Spiele gibt, die diese Elemente mit so viel Liebe umsetzen, habe ich keine Probleme eben diese höhere Wertung zu zücken.

7/10

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen